Gespraech mit Kinderpsychologin

Isabel Böge: Ich möchte Kinder nicht krankreden

Als Chefärztin, Wissenschafterin und Lehrende arbeitet Isabel Böge unermüdlich für die psychische Gesundheit junger Menschen in Graz und der Steiermark. MeinBezirk.at hat die gebürtige Norddeutsche zum Interview getroffen.

Neben ihrer Tätigkeit als Leiterin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie am LKH Graz II, Standort Süd (ehemals Landesnervenklinik Sigmund Freud) wurde Isabel Böge mit Anfang Juli an die Medizinische Universität Graz berufen. Dort sorgt die gebürtige Hamburgerin ab dem kommenden Wintersemester mit einem neu erstellten Lehrplan dafür, dass ihr Fachgebiet bei der Ausbildung von Ärzt*innen mehr Beachtung findet. Zudem gehören zu den Aufgaben der erfahrenen Psychiaterin, das Versorgungsnetz in der Steiermark enger zu knüpfen und die Forschung voranzutreiben.


Beim Antritt an der Med Uni Graz haben Sie Ihre Vorfreude bekräftigt. War der Ausblick auf die Doppelrolle kein bisschen abschreckend?

Auf der einen Seite ist es durchaus eine Herausforderung, weil Strukturen erst aufgebaut werden müssen. Inhaltlich halte ich den neu zu gestaltenden Lehrstuhl für ein Geschenk, weil jeder Kinder- und Jugendpsychiater seine eigene Ausrichtung hat. Jetzt evaluieren zu können, was die Steiermark an Versorgung braucht und sich dem mit neuen Projekten zu widmen, finde ich sehr reizvoll.


Was schwebt Ihnen vor?

Das Bundesland ist groß, aber bei der psychiatrischen Versorgung, die fast ausschließlich in Graz stattfindet, noch sehr zentral organisiert. Was angeboten wird, ist hoch qualitativ aber noch zu wenig, denn betroffene Kinder und Jugendliche brauchen Anlaufstellen, die sie am besten selbst mit dem Fahrrad erreichen können. Außerdem ist es ein Gebot der Stunde "Home Treatment", sprich die Betreuung zu Hause, zu etablieren. Damit wird der Zugang deutlich niederschwelliger und Termine sind leichter wahrzunehmen. Außerdem kann man direkt mit Familien arbeiten, die wie bei vielen Erkrankungen ein Stück weit mitbetroffen sind und lernen müssen, damit umzugehen.


In den letzten Jahren wurden psychische Probleme von Kindern zunehmend zum Thema. Teilen Sie die Sorgen?

Ich will niemanden krankreden – aber es braucht schärfere Aufmerksamkeit. Vor der Pandemie wurde zunächst erhoben, dass bei Kindern und Jugendlichen jeder Fünfte psychisch belastet ist, inzwischen ist es jeder Dritte. Zwar heißt belastet noch nicht krank, aber das Potenzial für Erkrankungen ist enorm.


Bei Auffälligkeiten also gleich zum Arzt?

Viele vergessen, dass man Kinder und Jugendliche einfach fragen kann. Dann kann man immer noch zum Psychiater gehen und gemeinsam beraten, wie man weitermacht. Sicher wird es sich oft um normale Pubertätsverstimmungen handeln, aber einige werden dennoch herausgefischt, denen man helfen kann. Das ist natürlich umso besser, je früher das geschieht – also bevor eine Erkrankung chronisch wird.


Daher Ihr Einsatz für eine bessere Schulung in diesem Bereich?

Ja, unabhängig vom Fachbereich eines Arztes braucht es hierbei fundiertes Grundwissen. Betroffene kommen meistens zuerst zum Hausarzt und ohne entsprechende Kenntnisse werden Warnsignale leicht übersehen. Bislang waren in der Ausbildung für die Kinder- und Jugendpsychiatrie nur drei Stunden vorgesehen und das bei einem Studium von sechs Jahren. Das ist definitiv zu wenig – nicht nur weil ich bei Studierenden Begeisterung für das Gebiet wecken will, sondern weil es die aktuellen Herausforderungen verlangen.

Textnachweis: Christoph Lamprecht, MeinBezirk.at

Kontakt

Univ.-Prof.in Dr.in
Isabel Böge 
Universitätsprofessorin für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapeutische Medizin