Mikroskop

Multiple Sklerose und Co.: Dem Angriff von innen auf der Spur

An der Med Uni Graz wollen Forscher*innen Störungen des Immunsystems besser verstehen. Aktuell liegt der Fokus auch auf der Covid-Impfung.

Manchmal zerstört sich unser Körper selbst. Er attackiert die eigenen Zellen. Und niemand weiß, warum: Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose, Diabetes Typ 1 oder Lupus gehören nach wie vor zu den großen Rätseln der Medizin.

In kleinen, gläsernen Petrischalen im Labor in der Heinrichstraße versuchen Forscherinnen und Forscher der Medizinischen Universität Graz Antworten zu finden. Johannes Fessler und sein vierköpfiges Team haben sich auf Autoimmunerkrankungen spezialisiert. Geschätzt 700.000 Menschen sind in Österreich betroffen. Die Erkrankungen entstehen durch eine Störung des Immunsystems. Dieses richtet sich fälschlicherweise gegen den eigenen Körper, greift also Zellen an, die es nicht angreifen sollte.


T-Zellen der Schlüssel zu Antworten?

"Die Ursache für Autoimmunerkrankungen ist sicher noch das große Fragezeichen. Es gibt ein paar Aspekte, die man versteht oder anfängt zu verstehen. Den Zusammenhang versteht man aber noch nicht wirklich gut", erklärt Fessler den Stand der Forschung.

An der Med Uni Graz setzt er bei den T-Zellen an. "Das sind die Zellen, die im Zentrum stehen und die Immunantwort organisieren. Sie sind dafür da, zu entscheiden, auf welche Art das Immunsystem einen Erreger beseitigen will", sagt Fessler. Er und sein Team wollen wissen, welche Faktoren die T-Zellen – also die Immunantwort – beeinflussen und wie genau sie das tun. Das Alter, der Stoffwechsel oder die Ernährung könnten Faktoren sein.


Mit Medikamenten oder mittels Ernährungsumstellung eingreifen

Dafür untersuchen die Forscher anhand von Blutproben die Zellen von Patienten – sowohl von gesunden als auch von kranken. Sie führen Versuche durch, beobachten die Veränderungen. "Wir versuchen, das Immunsystem besser zu verstehen, schauen, mit welchen Mitteln wir eingreifen können und ob das Immunsystem dadurch anders reagiert", erklärt Fessler. Mittel zum Eingreifen sind in dem Fall zum Beispiel Medikamente oder eine Ernährungsumstellung für den Patienten.

Parallel laufen verschiedene Projekte mit jeweils anderem Fokus. Ganz konkret weiß man zum Beispiel schon von der Forschung mit Mäusen, dass der Polyaminstoffwechsel eine große Rolle bei der Regelung der Immunantwort spielt. "In einem Projekt versuchen wir, mehr über diesen einen Stoffwechselweg herauszufinden und ihn therapeutisch anzugreifen."


Warum schlägt Impfung gegen Covid nicht an?

Ein aktuelles Projekt beschäftigt sich mit der Impfung gegen Covid-19. Bei Menschen, die wegen Autoimmunerkrankungen behandelt werden, wirkt die Impfung oft weniger gut. Viel weiß man dazu noch nicht. "Es wird spekuliert, aber Evidenz ist wenig da. Es geht darum, Hypothesen zu überprüfen." Mehr als hundert gesunde und erkrankte Patienten, die geimpft wurden, sind beteiligt. Deren Immunzellen isoliert das Forscherteam über eine Zeitspanne immer wieder – um sie einzufrieren, aufzutauen und Versuche durchzuführen.

Die kranken Patienten leiden an verschiedenen Autoimmunerkrankungen, werden aber mit derselben Immuntherapie behandelt. Das Problem mit der Impfung: Die Therapie hemmt die B-Zellen im Immunsystem des Körpers. Die B-Zellen sind aber jene Zellen, die normalerweise nach einer Impfdosis Antikörper gegen das Coronavirus produzieren.


"Da ist schon ein Druck dahinter"

"Was wir uns zum Beispiel anschauen, ist, ob die T-Zellen, die auch dafür mitverantwortlich sind, dass die B-Zellen Antikörper produzieren, eine zelluläre Immunität entwickeln", führt Fessler aus. Außerdem versucht man, herauszufinden, ob bestimmte medizinische Mittel oder ein anderer Ernährungsstil – etwa Fasten – Effekte zeigen können. "Der erste Schritt ist aber, zu verstehen, was genau schief läuft. Der nächste Schritt: Was kann man machen, damit die Impfung bei Autoimmunerkrankten anschlägt", so Fessler.

Dass die Pandemie in vollem Gange und das Thema Impfung politisiert ist, macht die Forschung komplizierter. "Da ist schon ein Druck dahinter. Wir sind auch nicht die Einzigen, die daran arbeiten", schildert der Assistenzprofessor.


Ziel: Erkrankungen verstehen und behandeln

Nicht zuletzt deshalb setzt man auf teamübergreifende Forschung. Klinische Abteilungen wie die Rheumatologie sind zum Beispiel am Impf-Projekt beteiligt. Nächstes Jahr soll Fesslers Forschungsteam von der Heinrichstraße an den Campus der Med Uni Graz am Auenbruggerplatz siedeln. Noch engere Zusammenarbeit und modernere Ausrüstung erhofft man sich dadurch.

Das große Ziel von Johannes Fessler und seinem Team: "Dazu beitragen, dass man Autoimmunerkrankungen besser verstehen und behandeln kann. Der Patient ist das Endziel."


Textnachweis: Anna Stockhammer, KLEINE ZEITUNG vom 01.04.2022

Kontakt

Ass.-Prof. Dr.
Johannes Fessler, BSc MSc  
T: +43 316 385 71150