Melanie Suette im Gespräch mit Hannes Deutschmann - Foto: chinnapong/AdobeStock.com

Interview: Die Interventionelle Radiologie im Fokus

Die interventionelle Radiologie verbindet hochauflösende Bildgebung mit präzisen Eingriffen – und verschiebt damit die Grenzen dessen, was ohne große Operation möglich ist. „Die Radiologie ist jener Bereich, der sich mit bildgebenden Verfahren auseinandersetzt, um Erkrankungen zu diagnostizieren“, sagt Hannes Deutschmann, Leiter der Klinischen Abteilung für Neuroradiologie, vaskuläre und interventionelle Radiologie der Med Uni Graz. „Und diese bildgebenden Verfahren kann man nun nicht nur zur Diagnose heranziehen, sondern auch, um Behandlungen durchzuführen.“ Melanie Suette, Studentin an der Med Uni Graz im Erweiterungsstudium Medizinische Forschung hat im Rahmen der Lehrveranstaltung Wissenschaftskommunikation ein ausführliches Interview mit dem Radiologen geführt. 


Wie sich ein interventioneller radiologischer Eingriff anfühlt? „Im Prinzip – sehr plakativ – ist es so, dass es ein kleiner Stich ist“, beschreibt der Experte den typischen Zugang über Leiste oder Handgelenk. Über feine Katheter und Mikrokatheter lassen sich Engstellen weiten, Stents einsetzen oder Blutungen verschließen – sicher geführt durch Durchleuchtung, CT oder MRT. Zum klinischen Alltag gehören vor allem Gefäßerkrankungen der Becken- und Beinarterien, die minimalinvasiv behandelt werden. In Notfällen – etwa bei inneren Blutungen in Leber oder Darm – können blutende Gefäße endovaskulär verschlossen werden, oft eine schonendere Alternative zur großen Operation. Auch Aneurysmen lassen sich mit Gefäßprothesen von innen sichern. Und im akuten Schlaganfall kann eine rasche Wiedereröffnung eines verschlossenen Hirngefäßes schwere Folgen verhindern.


Besonders eindrucksvoll zeigt sich die Stärke der Disziplin in der Neurointervention: Zufällig entdeckte Aneurysmen werden heute in der Regel endovaskulär verschlossen, Stenosen der Halsschlagader lassen sich stenten. Arteriovenöse Malformationen (AVMs) werden individuell abgeklärt und behandelt. Wenn ein großer Hirngefäßverschluss entsteht, zählt jede Minute. Hier hat die mechanische Thrombektomie die Versorgung revolutioniert. „Sie war eine der einflussreichsten Entwicklungen in der Medizin überhaupt“, so der Radiologe. Mit Stent-Retrievern und weichen Absaugkathetern wird das Gerinnsel gefasst und entfernt – eine Methode, deren Wiedereröffnungsrate über 90 Prozent liegt.
 

Der Blick nach vorn richtet sich auf die prähospitale Diagnostik: Biomarker im Blut, die Blutung von Infarkt unterscheiden, point-of-care-Ultraschall oder kompakte Geräte im Rettungswagen, die binnen Minuten Klarheit schaffen – damit Thrombolysen früher beginnen können. "Mobile CTs im Rettungsdienst haben sich nur in ausgewählten Metropolen bewährt", so Hannes Deutschmann. In der Steiermark mit kurzen Wegen und gutem Netzwerk wäre der Zusatznutzen gering. Strukturell gilt: Hochspezialisierte Neurointerventionen brauchen zentrale Expertise, Infrastruktur und die enge Kooperation mit Neurologie und Neurochirurgie. Anderes – etwa Becken-/Beininterventionen, Dialyse-Shunt-Therapien oder CT-Interventionen – kann in geeigneten Häusern dezentral angeboten werden. Der allgemeine Ärzt*innenmangel begünstigt jedoch die Bündelung in größeren Teams mit breitem Spektrum und steiler Lernkurve.
 

Und der Nachwuchs? Viele Studierende fragen, wie Künstliche Intelligenz die Radiologie verändert. Der Experte beruhigt: KI wird Diagnostik unterstützen, Standardaufgaben beschleunigen und Prozesse verbessern – ersetzen aber weder Radiolog*innen noch die interventionellen Eingriffe: „Wir brauchen modernste MRT-, CT- und Ultraschall-Bildgebung – unser Arbeitsumfeld ist dynamisch und hochinnovativ". Das Methodenrepertoire wachse stetig, von Gelenks- und Prostata- bis Myomembolisation. Ein verbreitetes Vorurteil betrifft die Strahlenexposition im Team. „Wir fühlen uns gut geschützt“, betont Hannes Deutschmann – dank Bleischürzen, Schilddrüsenschutz, Brillen und Hauben, gepulster Durchleuchtung, Dosisreduktionsprogrammen und baulicher Abschirmung moderner Anlagen. Die Dosimeter zeigen über das Arbeitsleben hinweg keine höheren Werte als in anderen Bereichen.
 

Sein persönliches Fazit fällt eindeutig aus: „Ich würde dieses Spezialfach definitiv noch einmal wählen.“ Die interventionelle Radiologie ist ein Fach mit Zukunft – technisch führend, klinisch wirksam und im besten Sinn teamorientiert".

Und die Vision für die nächsten Jahre? Ein Rettungswagen, der Blutung und Gefäßverschluss in Minuten unterscheidet, sofortige Therapie startet und Patient*innen direkt ins Zentrum bringt, wo noch schnellere, sichere Rekanalisationsmethoden bereitstehen – begleitet von Fortschritten in der Rehabilitation und, eines Tages, vielleicht sogar in der Hirnregeneration.

Hier können Sie das gesamte Interview nachhören: