Neurologie - merydolla/AdobeStock

ERC-Grant: Das Fliegenhirn im Flugsimulator

Das menschliche Gehirn ist ständig neuen Reizen ausgesetzt. Jeden Moment prasseln unzählige Informationen auf unsere „Schaltzentrale“ ein. Bei der Verarbeitung dieser Signale sind viele Aspekte ausschlaggebend; einer davon ist die Zeit. Manche Prozesse laufen im Bereich von Millisekunden ab, andere ziehen sich über Tage hin. In beiden Bereichen sind die molekularen Grundlagen der Signalverarbeitung mittlerweile gut erforscht. Mit seinem neuen Projekt, das mit einem ERC Starting Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC) gefördert wird, erforscht Lukas Groschner an der Med Uni Graz den bislang kaum untersuchten Bereich dazwischen.


Das Kurzzeitgedächtnis einer Fliege

Das Gehirn arbeitet nicht nur auf einer zeitlichen Ebene. Man geht davon aus, dass sich Prozesse der Signalverarbeitung im Gehirn über ein zeitliches Spektrum von mindestens neun Größenordnungen erstrecken. Für das Projekt von Lukas Groschner sind vor allem die mittleren Zeitspannen zwischen den beiden Extremen spannend, da über diese bisher wenig bekannt ist. Wir bewegen uns hier in einem Bereich von einigen hundertstel Sekunden bis hin zu mehreren Minuten. Als Untersuchungsobjekt dient Lukas Groschner das Gehirn der Fruchtfliege. Drosophila melanogaster nennt sich die Spezies, die in den nächsten Jahren intensiv am Lehrstuhl für Molekularbiologie und Biochemie an der Med Uni Graz erforscht wird.

Unter anderem geht es dabei um die Verarbeitung visueller Reize, die dem Tier mithilfe eines kleinen Kinos für Fliegen vorgeführt werden. Während der Stimulation werden die Reaktionen des Tieres und die Aktivität einzelner Nervenzellen aufgezeichnet und analysiert. Die Fliegen werden hierfür zum Beispiel in einer Art Flugsimulator fixiert, wo ihnen beliebige computergenerierte Muster vorgespielt und gleichzeitig ihre Bewegungen analysiert werden.


Kleines Gehirn mit großer Rechenleistung

Die Forschung basiert auf der Annahme, dass die Nervensysteme verschiedener Tiere auf einer begrenzten Anzahl gemeinsamer neuronaler „Schaltpläne“ basieren. So können die Ergebnisse, die in der Forschung an der Fliege gewonnen werden, auch auf andere Spezies, unter Umständen sogar auf den Menschen, übertragen werden. Mit seinen rund 150.000 Nervenzellen ist das Gehirn von Drosophila melanogaster um einiges einfacher gestrickt als das Gehirn des Menschen und eignet sich daher perfekt als Forschungsgegenstand für diesen Zweck. Wir kennen die neuronalen Schaltkreise jeder einzelnen Nervenzelle und deren Verbindungen im Nervensystem der Fliege und können so die Mechanismen der neuronalen Signalverarbeitung genau erforschen. Insgesamt wird sich das Forschungsprojekt mit drei Fragen auseinandersetzen, die sich mit verschiedenen neuronalen Prozessen befassen.


Die Forschungsfragen des Projekts

Die erste Frage lautet: Wie orchestrieren Nervenzellen im visuellen System die Verzögerung von Signalen, um die Bewegungsrichtung visueller Reize zu berechnen? Die zweite Frage untersucht, wie visuelle Informationen über mehrere Sekunden akkumuliert werden, um basierend darauf relevante Entscheidungen zu treffen. Zuletzt wird beleuchtet, wie das Gehirn ein Gedächtnis formen kann, das in Ruhe über viele Minuten stabil ist, aber formbar wird, sobald man sich bewegt.


Daten zum Projekt

Name: Temporal processing in Drosophila melanogaster (TemProDroMe)       
Projektstart: 1. Jänner 2024
Laufzeit: 5 Jahre
Förderdung:

1.294.994,00 EUR

 

Steckbrief: Lukas Groschner

Lukas Groschner untersucht, wie das Nervensystem intelligentes Verhalten hervorbringt. Er bedient sich des biochemischen Ansatzes der Intervention, gefolgt von Rekonstitution, und wendet diesen auf die Neurowissenschaften an. In seiner bisherigen Forschungstätigkeit entdeckte Lukas Groschner, wie es einzelne Nervenzellen bewerkstelligen, Signale zu addieren und zu multiplizieren. Er wurde dafür unter anderem mit dem Schilling-Forschungspreis der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft ausgezeichnet.

Kontakt

Ass.-Prof. Dr.med.univ. Dr.phil.
Lukas Groschner 
Gottfried Schatz Forschungszentrum
Medizinische Universität Graz
T: +43 316 385 71968