Zu Halloween fließt wieder reichlich Kunstblut – allerdings nur zur Dekoration. In der Humanmedizin ist „künstliches Blut“ weit mehr als ein farbiger Gruseleffekt: Forschende arbeiten weltweit daran, rote Blutzellen (Erythrozyten) aus menschlichen Stammzellen im Labor zu kultivieren. Langfristiges Ziel ist es, die Erfolge aus der Forschung in die Klinik zu übertragen: Zum Beispiel zur Überbrückung von Engpässen in der Blutversorgung durch universal einsetzbares Blut oder, um Patient*innen mit sehr seltenen Blutgruppen oder komplexen Immunisierungen besser behandeln zu können. Die Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie e. V. (DGTI) weist darauf hin, dass Blutspenden trotz dieser Forschung auf absehbarer Zeit unverzichtbar bleiben werden. In Deutschland werden laut Hämovigilanzbericht 2023 des Paul-Ehrlich-Instituts jährlich mehr als 4 Millionen Blutprodukte transfundiert. Große Operationen, intensivierte Krebstherapien und eine optimale Versorgung von Unfallopfern wären ohne diese Blutprodukte nicht möglich. Doch die Zahl der Blutspenderinnen und Blutspender sinkt seit Jahren. „Besonders in Ferienzeiten oder während Krankheitswellen werden die Blutkonserven knapp. Gerade deshalb suchen wir nach neuen zukunftsweisenden Ideen, sogenannten ”disruptive technologies", wie zum Beispiel wie kultivierte Blutzellen aus dem Labor“, sagt Isabel Dorn, Fachärztin für Transfusionsmedizin an der Universitätsklinik für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin der Medizinischen Universität Graz und des LKH-Universitätsklinikums Graz.
So entstehen künstliche rote Blutzellen
Moderne zell- und molekularbiologische Verfahren stehen bei der Herstellung von kultivierten Erythrozyten im Mittelpunkt: Im Labor werden rote Blutzellen über mehrere Wochen aus menschlichen Stammzellen gezüchtet und hierzu im Brutschrank mit einem speziellen Nährmedium inkubiert. Dabei können durch modernste molekularbiologische Methoden wie die Genschere CRISPR/Cas9 auch Blutgruppeneigenschaften modifiziert und „Designerblut“ hergestellt werden. Um die Prozesse reproduzierbar, qualitätskontrolliert und kosteneffizient zu gestalten, versuchen derzeit Wissenschafter*innen weltweit, diesen Prozess zu skalieren. „Eines der langfristigen Ziele ist, universal einsetzbare Blutkonserven in speziellen Bioreaktoren zu generieren – also bestenfalls unabhängig von den Blutgruppeneigenschaften, wie beispielsweise AB0 oder Rhesus. Damit wäre es möglich, ein einziges Produkt für viele Patient*innen nutzbar zu machen“, erklärt Isabel Dorn. Für Patient*innen mit sehr seltenen Blutgruppen ist zudem die Herstellung von hierzu passenden (kompatiblen) roten Blutzellen von großer Bedeutung, sei es durch den Aufbau von Stammzelllinien ausgewählter Spender*innen oder die Verwendung patienteneigener Stammzellen im Sinne einer personalisierten Transfusionstherapie. Neben der Stammzellforschung gibt es auch nanotechnologische Ansätze, um künstliches Blut zu entwickeln. Dabei werden winzige Teilchen hergestellt, die Sauerstoff aufnehmen und wieder abgeben können – ähnlich wie rote Blutkörperchen. Solche künstlichen Sauerstoffträger könnten helfen, wenn Menschen nach einem schweren Unfall oder im Krieg viel Blut verlieren und nicht ausreichend Blutkonserven zur sofortigen Notfalltransfusion zur Verfügung stehen.
Herausforderungen und Grenzen
Die klinische Weiterentwicklung von „künstlichem Blut“ hat gerade erst begonnen. Bisher haben Forschende nur sehr kleine Mengen roter Blutzellen im Labor züchten können, ein Bruchteil dessen, was eine Blutspende normalerweise liefert. Die verwendeten Zellkulturmodelle sind immer noch sehr aufwendig und teuer und dauern zudem mehrere Wochen. „Erythrozyten im Maßstab einer Blutkonserve im Labor zu züchten, ist derzeit biotechnologisch nicht umsetzbar und auch für ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem nicht leistbar“, erklärt Isabel Dorn. Zudem müssen in klinischen Studien erst noch sehr wichtige Fragen zur Qualität, Sicherheit und Haltbarkeit geklärt werden.
Blutspenden bleiben unverzichtbar
Die DGTI betont, dass im Labor gezüchtete Erythrozyten auf absehbare Zeit die altruistisch motivierte Blutspende nicht ersetzen können. „Blutspenden sind und bleiben für die Versorgung der Patient*innen unverzichtbar“, betont Kristina Hölig, Präsidentin der DGTI, Bereichsleiterin Transfusionsmedizin an der Medizinischen Klinik und Poliklinik I des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden sowie Leiterin des Instituts für Transfusionsmedizin Dresden beim DRK-Blutspendedienst Nord-Ost GmbH. „Kultivierte Blutzellen und künstliche Sauerstoffträger sind aktuell ein wichtiges Forschungsfeld der DGTI und können hoffentlich in Zukunft einen wichtigen Beitrag leisten, spezifische Engpässe zu überwinden. Aber sie sind kein Ersatz zur Blutspende. Daher gilt weiterhin: Wir brauchen jede*n Spender*in, um Leben retten zu können!“
Faktencheck „Künstliches“ Blut:
• Was sind kultivierte Blutzellen?
Im Labor hergestellte Blutzellen wie kultivierte rote Blutzellen (Erythrozyten), meist aus menschlichen Stammzellen gezüchtet, ggf. mit molekularbiologisch veränderten Blutgruppenmerkmalen.
• Was ist künstliches Blut?
Häufig wird dieser Begriff auch für kultivierte Blutzellen (fehl-) verwendet. Im engeren Sinn handelt es sich um synthetisch hergestellte Substanzen, die als künstliche Sauerstoffträger dienen oder die Blutgerinnung fördern.
• Wie weit ist die Forschung?
Die letzten Jahrzehnte waren durch neue Ergebnisse aus der Grundlagenforschung geprägt. Aktuell erfolgt die in der Regel langwierige Translation zu einer möglichen klinischen Anwendung. Fragen zur Qualität, Sicherheit, Haltbarkeit und Unbedenklichkeit müssen vor einer klinischen Anwendung sorgfältig geprüft werden (Nutzen-Risiko-Analyse)
• Welche Vorteile sind langfristig denkbar?
Die visionäre Idee ist die Herstellung und Anwendung von kultivierten roten Blutzellen mit universell verträglichen Blutgruppeneigenschaften. Darüber hinaus ist die heute extrem herausfordernde Versorgung einzelner Patient*innen mit sehr seltenen Blutgruppenmerkmalen und/oder komplexen Immunisierungen gegen Blutgruppenmerkmale durch patientenindividuelle Herstellung im Sinne einer personalisierten Medizin denkbar
• Wo liegen die Hürden?
Bis heute ist die Translation aus dem Forschungsmaßstab (Milliliter) in den industriellen Maßstab (Liter bis Tausende Liter) noch nicht umgesetzt. Für eine kosteneffiziente Herstellung im klinischen Maßstab bedarf es der Optimierung und Anpassung biotechnologischer Verfahren an die speziellen Bedürfnisse roter Blutzellen.
• Können kultivierte rote Blutkörperchen die Blutspende ersetzen?
Nein – Blutspenden bleiben auf absehbare Zeit unverzichtbar. Künstliche Produkte könnten künftig höchstens eine Ergänzung sein, vor allem für sehr seltene Blutgruppen.
Textnachweis: Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie e. V. (DGTI), 27. Oktober 2025