Tobias Madl, Foto: Helmut Lunghammer

Neuer Baustein im Verständnis von Krebs und Zellsteuerung

Damit Zellen gesund bleiben und ihre Aufgaben zuverlässig erfüllen können, müssen bestimmte Eiweiße gezielt in den Zellkern, das Steuerzentrum der Zelle, transportiert werden. Dort regulieren sie zentrale Prozesse wie Zellwachstum, Reparaturmechanismen und Reaktionen auf Stress. Ist dieser Transport gestört, kann das gravierende Folgen haben: etwa unkontrolliertes Zellwachstum bei Krebs oder Fehlfunktionen, wie sie bei altersbedingten Erkrankungen wie Alzheimer auftreten. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Medizinischen Universität Graz hat nun einen bislang unbekannten Mechanismus entdeckt, wie dieser Transport funktionieren kann. Die neuen Erkenntnisse liefern wichtige Hinweise für das Verständnis zellulärer Steuerung und könnten langfristig neue Therapieansätze ermöglichen.


Einlass ohne Erlaubnis? Wie Proteine auch ohne „Pass“ in den Zellkern gelangen

„Man kann sich den Zellkern wie ein sicheres Regierungsgebäude vorstellen: Nur wer den richtigen Ausweis hat, bekommt Zugang“, erklärt Studienleiter Tobias Madl von der Med Uni Graz. „Bisher waren uns verschiedene dieser molekularen Zugangskarten bekannt – unsere Forschung zeigt nun einen völlig neuen Typ. Besonders spannend ist: Dieser könnte gerade für die Krebsbiologie eine große Rolle spielen.“

In der Regel gelangen Eiweiße mit einem speziellen „Molekülausweis“ in den Zellkern – eine bestimmte Abfolge von Aminosäuren wie Serin und Arginin. Damit dieser Ausweis gültig ist, muss das Serin mit einer sogenannten Phosphatgruppe versehen werden – ein Vorgang, den Fachleute als Phosphorylierung bezeichnen. Nur dann erkennt das Transportprotein TNPO3 – gewissermaßen der „Sicherheitsdienst“ – das Eiweiß als zutrittsberechtigt. Die aktuelle Studie zeigt nun: Es existiert ein alternativer Transportmechanismus, der auf der Aminosäure Tyrosin basiert – und dabei ganz ohne Phosphorylierung auskommt.


Zellstress, Alter und Krebs – ein Protein auf Irrwegen

Besonders relevant ist dieser neu entdeckte Mechanismus für das Protein CIRBP. Es spielt eine Schlüsselrolle bei der Zellreaktion auf Stress, bei Alterungsprozessen und möglicherweise auch bei der Krebsentstehung. CIRBP nutzt einen tyrosinbasierten Signalweg, um in den Zellkern zu gelangen, ohne dass eine chemische Modifikation wie die Phosphorylierung notwendig ist.

Die Forscher*innen konnten zeigen: Bestimmte Tyrosin-Bausteine wirken wie molekulare „Klettpunkte“ – sie binden stabil an TNPO3 und ermöglichen so den effizienten Transport von CIRBP in den Zellkern. Wird CIRBP hingegen phosphoryliert, also mit Phosphatgruppen versehen, blockiert dies den Transport – anstatt zu unterstützen, verhindert die Phosphorylierung den Eintritt in den Zellkern. Dies könnte erklären, warum CIRBP in bestimmten Situationen seine Funktion nicht mehr richtig erfüllen kann.


Unbekannte Wege: Zell-Logistik mit Überraschungseffekt

Eine gestörte Steuerung des Proteintransports in den Zellkern kann schwerwiegende Folgen haben. Wenn Proteine nicht mehr rechtzeitig oder korrekt an ihren Zielort gelangen, kann dies zu unkontrolliertem Zellwachstum oder gestörter Stressantwort führen. Bereits bekannt war, dass es mehrere Wege für den Zellkerntransport gibt – die neue Studie erweitert dieses Wissen erheblich.

„Unsere Ergebnisse zeigen, wie vielschichtig und flexibel die zelluläre Steuerung tatsächlich ist“, sagt Qishun Zhou, Erstautor der Studie. „Dass ein Transportweg ganz ohne Phosphorylierung funktioniert, war so bislang nicht bekannt.“

„Das ist Grundlagenforschung – aber mit großem Potenzial für die Zukunft“, ergänzt Tobias Madl. „Je besser wir die inneren Abläufe der Zelle verstehen, desto gezielter können wir eingreifen, wenn sie aus dem Gleichgewicht geraten – sei es bei Krebs, Alterserkrankungen oder anderen zellulären Störungen.“


Hintergrund zur Studie

Die Forschung wurde im Rahmen des Exzellenzclusters MetAGE und des Zentrums für Integrative Stoffwelchselforschung sowie in Kooperation mit der Universität Graz und der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz durchgeführt. Zum Einsatz kamen hochauflösende strukturbiologische Methoden wie NMR-Spektroskopie, Röntgenkristallographie und zellbasierte Analysen. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht, einem der weltweit führenden Journale für biomedizinische Forschung.

Weitere Informationen und Kontakt

Univ.-Prof. PD Mag. Dr.
Tobias Madl 
Forschungsfeld Stoffwechsel & Kreislauf
Otto Loewi Forschungszentrum
T: +43 316 385 71972