Ein intaktes Mikrobiom schützt unsere Haut als natürlicher Schutzschild vor äußeren Einflüssen. Ist dieses empfindliche System jedoch gestört, kann es zu schwerwiegenden Hautkrankheiten kommen. Ein steirisches Konsortium – darunter die IGSF, Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib), die Medizinische Universität Graz und die Lactosan GmbH & Co KG – setzt sich daher zum Ziel, eine natürliche, medizinische Hautpflege zu entwickeln. Darin enthaltene, lebende Bakterien sollen das Hautmikrobiom stärken und Krankheitserreger abwehren. Marktfähiger Kosmetik- und Medizinprodukte sind geplant.
Als größtes Organ des Menschen wird unsere Haut von einem natürlichen, mikrobiellen Film – zusammengesetzt aus einer Vielzahl an Bakterien – gegen äußere Einflüsse und vorKrankheiten geschützt. Ist das Hautmikrobiom, von dem die Rede ist, jedoch geschwächt, bildet unsere Haut ein Einfallstor für viele Krankheitserreger. Besonders empfindlich ist das sich erst im Aufbau befindende Hautmikrobiom von Babys. Bei einer Fehlbesiedelung mit schädlichen Bakterien kann es etwa zu Windelausschlägen kommen. Auch die Volkskrankheit Neurodermitis (Dermatitis atopica), welche in Industrienationen bereits bis zu jedes vierte Kind betrifft, steht mit einer ungünstigen bakteriellen Besiedelung in Zusammenhang.
Als äußerst gefährlich für unsere Gesundheit sind antibiotikaresistente Bakterien wie Staphylococcus Aureus (MRSA) einzustufen, welche ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung dauerhaft auf der Haut- oder Schleimhaut trägt. Hier treten insbesondere in Umgebungen wie Spitälern bei einer Immunschwäche, einem Langzeitkatheter oder einer Langzeitbeatmung häufig Infektionen auf, welche bis zur Sepsis und zum Tod führen können. „Solche Krankenhauskeime sind jährlich weltweit für fast eine Million Todesfälle verantwortlich und stellen nicht nur eine erhebliche Belastung für das Gesundheitssystem dar, sondern eine große Bedrohung für die Menschheit. Daher ist es umso wichtiger, das natürliche Mikrobiom zu stärken und vorbeugend gegen schädliche Erreger zu schützen“, erklärt Projektleiterin Katrin Susanna Wallner.
Das Projekt TopBiotics hat sich daher zum Ziel gesetzt, topische, also äußerliche Anwendungen in Form einer medizinischen Hautpflege zu entwickeln. Darin kommen lebensfähige natürliche Bakterien mit positiver Wirkung auf den menschlichen Organismus zum Einsatz.
Ein interdisziplinäres Konsortium, bestehend aus der Interdisziplinären Gesellschaft für Sozialtechnologie und Forschung (IGSF), dem Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib), der Medizinischen Universität Graz (Abteilung für Biomedizinische Forschung (BMF) sowie Institut für Hygiene) der Lactosan Austria GmbH und dem Human Technology Cluster HTS als Netzwerkpartner, arbeitet daran, längerfristig ein breites Portfolio an Therapien und Anwendungen gegen unterschiedlichste Hautkrankheiten zu schaffen.
Probiotische Bakterien halten pathogene Erreger fern
“In der Forschung hat sich gezeigt, dass bestimmte Arten von natürlichen Bakterien positive Wirkungen auf die Haut- und Schleimhautbarrierefunktion besitzen“, erklärt Wallner. Die meisten probiotischen Produkte werden bisher oral eingenommen und haben den Zweck, unsere Darmflora gesund zu halten. Die Haut probiotisch zu versorgen, ist jedoch ungleich schwieriger. Das liegt daran, dass in vielen Kosmetika mit hohem Wasseranteil Konservierungsstoffe zur längeren Haltbarkeit enthalten sind, welche auch die probiotischen Bakterien abtöten. “Unser Ziel ist es, Bakterien, welche sehr hohe Ansprüche haben, so einzuschließen, dass sie in einer wässrigen Suspension überleben können“, erklärt Bernd Nidetzky vom Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib). „Dies ist notwendig, denn nur lebend können sie sich auf der Haut ansiedeln und ihr volles Wirkungsspektrum entfalten“, führt Beate Rinner, Professorin für den Bereich Biomedizinische Forschung an der Medizinischen Universität Graz weiter aus.
Innovatives Immobilisierungsverfahren und Delivery Release
Sind die nötigen Bakterien gefunden, müssen diese in einem weiteren Schritt in die Hautpflege eingeschlossen werden. Dazu entwickeln die Forscher ein neuartiges Konservierungsverfahren. Dabei werden die Bakterien so immobilisiert, dass sie in ihrer Aktivität heruntergefahren werden, sich aber bei der Anwendung wieder vermehren können. „Gelingt dieses Verfahren, können wir gesundheitsschädliche Konservierungsstoffe vermeiden und damit dem Trend der „Clean Cosmetics“ folgen. Das heißt auch, dass wir unser Produkt tierversuchsfrei, evidenzbasiert, schadstofffrei und unter Berücksichtigung ökologischer Aspekte produzieren wollen“, so Wallner. Am Institut für Hygiene am ZWT Graz werden die unterschiedlichen Bakterienarten und -stämme derzeit auf ihre gewünschten Eigenschaften hin getestet. „Die Laktobazillen müssen sich einerseits gegen Krankheitserreger wie Bakterien und Pilze durchsetzen können und sollen andererseits die Hautbarriere stärken“, so Rinner. Die Bakterienstämme werden an isolierten Hautzellen und 3D-Hautmodellen in Laboren der Medizinischen Universität getestet. Ein Prototyp der probiotischen Hautpflege befindet sich in Entwicklung.
Milliardenmarkt Clean Cosmetics
Langfristig sollen die Erkenntnisse in marktfähige Kosmetik- und Medizinprodukte umgesetzt werden. Ein konkreter Anwendungsfall ist für die Prävention und Spezialpflege bei Dermatitiden, wie etwa Neurodermitis oder Windeldermatitis, vorgesehen. Gemessen am hohen Marktvolumen von Hautpflegeprodukten für Babys und Kinder – allein 70 Mio € in Österreich und Deutschland und 4 Mrd. € weltweit – könnte die neue probiotische Anwendung auf eine hohe Nachfrage stoßen und einen schonenderen, natürlicheren Therapieansatz gegen zahlreiche Hautkrankheiten bieten.
Gelungene Vernetzung
Das Projekt TopBiotics wird seit 2021 vom Inkubationsprogramm aws First Inkubator und vom Basisprogramm der FFG gefördert. „Diese Kooperation kann bereits jetzt als steirisches Erfolgsbeispiel für erfolgsversprechende, interdisziplinäre Vernetzung angesehen werden. Wir freuen uns als Forschungs- und Netzwerkzentrum daher sehr, unser Know-how im Bereich Enzymologie und Bioprozesstechnik einzubringen und zur Entwicklung zukünftiger, innovativer Therapeutika beizutragen“, freut sich acib-CEO Mathias Drexler. Insbesondere den Vernetzungsgedanken lobt auch Johann Harer, Geschäftsführer des Human Technology Styria Cluster HTS, welcher die Kooperation initiierte: „Mit diesem Projekt kann auch die Grundlage für marktfähige Produkte und damit regionale Wertschöpfung geschaffen werden.“
Textnachweis: acib GmbH