Sujet Medizin

FWF-Projekt: Fokus Muttermilch

Ariane Pessentheiner hat im Rahmen ihres Erwin-Schrödinger-Stipendiums in den USA untersucht, wie man die entzündungshemmende Kraft der menschlichen Muttermilch für neue Behandlungen gegen Atherosklerose nutzen kann. Nun konzentriert sich die Forscherin auf die Frage, wie wissenschaftliche Erkenntnisse zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen einer breiten Öffentlichkeit besser kommuniziert werden können.

Fettreiche Ernährung, zu wenig Bewegung, Rauchen und Diabetes begünstigen die Entstehung einer der häufigsten Wohlstandskrankheiten – der Atherosklerose, im Volksmund auch Arterienverkalkung genannt. Blutfette wie Cholesterin lagern sich bei dieser Herz-Kreislauf-Erkrankung an den Gefäßwänden ab. Ausgangspunkt solcher Ablagerungen können kleine Verletzungen innerhalb der Gefäße sein, die unter anderem durch Bluthochdruck entstehen. Sie lösen den Einsatz von speziellen Immunzellen aus, sogenannten Makrophagen, die als „Aufräumtrupp“ im Körper Viren, Bakterien oder auch Fettpartikel aufnehmen, aber auch Entzündungsreaktionen auslösen. Zudem verändert die Fettaufnahme die Aufräumzellen. Ein Teil von ihnen wird zu sogenannten Schaumzellen, die sich ebenfalls an den Gefäßwänden ablagern. Dort entstehen so immer mehr Schichten einer entzündlichen „Plaque“. Diese Vorgänge bleiben oft über viele Jahre unbemerkt und symptomlos. Doch irgendwann kann es dazu kommen, dass die Ablagerungen das Gefäß vollkommen verschließen – mit oft tödlichen Folgen in Form von Thrombosen, Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Die Molekularbiologin Ariane Pessentheiner hat sich aus ganz verschiedenen Perspektiven mit dem Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beschäftigt. Die Wissenschaftlerin, die heute als Senior Postdoc am Institut für Molekularbiologie und Biochemie der Medizinischen Universität Graz tätig ist, hat zum einen jahrelang an der University of California in San Diego daran geforscht, wie man die Inhaltsstoffe der menschlichen Muttermilch nutzen könnte, um die Entstehung von Atherosklerose zu bremsen. Zum anderen bemüht sie sich in einem neuen Projekt um einen gezielten Dialog mit der Öffentlichkeit: Die Gefahren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollen jüngeren Menschen, die noch nicht akut von den Erkrankungen betroffen sind, adäquat kommuniziert werden, um auf die unbedingte Notwendigkeit von vorbeugenden Maßnahmen aufmerksam zu machen.

Die Muttermilch als „Wunderding“

Ihre Forschungen in Kalifornien bauen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen auf, wonach die menschliche Muttermilch bis zu 200 sogenannte Oligosaccharide, bestimmte auf Laktose aufbauende Zuckerarten, beinhaltet. Sie übernehmen vielfältige Funktionen für die optimale Ernährung, den Schutz und das Wachstum eines Babys. Zum Vergleich: Kuhmilch verfügt über weniger als ein Zehntel dieser Vielfalt. „Menschliche Muttermilch ist ein wahres Wunderding. Mit ihr hat die Natur die ideale Ernährung für ein Kind nach der Geburt geschaffen“, erklärt Ariane Pessentheiner. „Die Vielfalt der Oligosaccharide spielt eine wichtige Rolle dabei. Doch bisher konnte man erst die Funktion einiger weniger Milchzuckerarten tatsächlich entschlüsseln.“

Eine Besonderheit mancher dieser Zuckermoleküle ist, dass sie nicht im Darm verdaut und umgewandelt werden, sondern direkt in den Blutkreislauf gelangen und dort auf Zellen wirken können. Frühere Forschungsergebnisse machten zudem klar, dass manche der Oligosaccharide entzündungshemmende Eigenschaften mitbringen. Sie unterstützen das Immunsystem eines Babys, ohne dass es zu einer überschießenden und schädlichen Immunreaktion kommt. „Nachdem die Atherosklerose auch eine entzündliche Krankheit ist, hatten wir die Idee, die entzündungshemmenden Eigenschaften des Zuckers aus der Muttermilch für eine zukünftige Behandlung zu erproben“, sagt Ariane Pessentheiner. „Die Annahme war, dass die betreffenden Oligosaccharide auch in einem fortgeschrittenen Menschenalter positive Wirkungen erzielen.“

Suche nach dem besten Wirkstoff

In einem ersten Schritt wollten die Forschenden bestätigen, dass ein Zuckergemisch von Spendermüttern tatsächlich entzündungshemmende Eigenschaften aufweist. Dazu wurden mit Makrophagen versetzte Zellkulturen, die einen Schlüsselmechanismus der Atherosklerose abbilden, mit dem Zuckergemisch versetzt. Das Ergebnis war eindeutig: „Es hat sehr, sehr gut funktioniert“, betont die Molekularbiologin. Daraufhin wurden die Milchzuckerbestandteile der Muttermilch immer wieder in Fraktionen zerlegt und immer wieder getestet, um genau jene Zuckermoleküle zu identifizieren, deren entzündungshemmende Kraft am größten ist.

Jenes Oligosaccharid, das als Sieger aus diesem Ausscheidungsprozess hervorging, wurde dann biotechnologisch hergestellt und in einer vorklinischen Studie an einem Mausmodell erprobt. Einem Teil der Tiere, die eine Atherosklerose begünstigende, fettreiche Diät bekamen, wurde zusätzlich diese Zuckerart verabreicht, dem anderen Teil als Kontrollgruppe dagegen nicht. Auch hier gab es für die Forscherin ein eindeutiges Ergebnis: „Die Verabreichung des Zuckers war eine sehr erfolgreiche Methode, um die Entwicklung von Atherosklerose zu bremsen. Die Krankheit war bei den behandelten Mäusen viel weniger stark ausgeprägt.“

Bevor das entzündungshemmende Oligosaccharid als Medikament oder Nahrungsergänzungsmittel einsetzbar wird, müssen jedoch noch viele weitere Untersuchungen folgen. „Es ist naheliegend, dass eine Substanz, die ursprünglich aus der Muttermilch stammt, nicht schädlich sein kann. Dennoch muss getestet werden, ob sie auch isoliert von ihrem natürlichen Vorkommen keine Nebenwirkungen zeigt. Zudem stellt sich die Frage, welche Konzentrationen verträglich und zielführend sind. Ist das alles abgeklärt, könnte beispielsweise ein mit dem Zucker versetzter Milchshake eine sinnvolle Anwendung sein.“

Von der Wissenschaft zur Kommunikation

Für Ariane Pessentheiner war der vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Schrödinger-Aufenthalt in San Diego nicht nur eine wichtige Station biochemischer Forschungen, sondern auch Ausgangspunkt für ihr nunmehriges Engagement in der Wissenschaftskommunikation. „Der Dialog mit der Öffentlichkeit wird in den USA sehr stark gelebt. Dadurch wurde mein Interesse geweckt, mich stärker mit der Frage zu beschäftigen, wie Forschungsergebnisse besser kommuniziert werden können“, berichtet sie. Nach ihrer Rückkehr an die Medizinische Universität Graz hat sie sich mit dem Wissenschaftskommunikationsprojekt „HerzSache“ der Aufklärung im Bereich Herz-Kreislauf-Erkrankungen verschrieben.

„Ziel des Projekts ist, auch relativ junge Menschen ab 25 Jahren für Prävention in diesem Bereich zu interessieren“, erklärt die Forscherin. „Obwohl etwa in diesem Alter die Bildung von Atherosklerose beginnt, macht man sich kaum Gedanken darüber.“ Das Projekt beinhaltet eine ganze Reihe von Maßnahmen. Im Zentrum steht aber das Sammeln von individuellen Geschichten über Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Ärztinnen, Pflegende, Patienten oder Forschende erzählen dabei von ihren persönlichen Erfahrungen. Sie sollen mit ihren Geschichten berühren und so eine niederschwellige Möglichkeit bieten, mehr über Krankheitsbilder, begünstigende Faktoren oder neue Forschungsergebnisse zu erfahren“, sagt die Wissenschaftlerin. Die Geschichten sollen nicht nur live vor Publikum erzählt, sondern auch zu Podcasts verarbeitet und auf der Projekthomepage www.herzaehlungen.at zugänglich gemacht werden. Für Ariane Pessentheiner ist es ein Aufbruch in einen neuen Karriereabschnitt: „HerzSache“ ist für sie der Startpunkt, um sich künftig auch in der akademischen Forschung und Lehre ganz auf Wissenschaftskommunikation zu konzentrieren.

Zur Person

Ariane Pessentheiner beschäftigt sich seit mehr als zwölf Jahren mit der Erforschung von Stoffwechselerkrankungen wie Fettleibigkeit, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Von 2017 bis 2020 absolvierte die promovierte Biochemikerin im Rahmen eines mit 162.000 Euro dotierten Erwin-Schrödinger-Stipendiums des FWF einen Forschungsaufenthalt an der University of California in San Diego, um zum Thema „Humane Milch-Oligosaccharide und Herzkreislauferkrankungen“ zu forschen. Das Projekt legte die Basis für ihr noch bis 2022 laufendes – ebenfalls vom FWF gefördertes – Wissenschaftskommunikationsprojekt „HerzSache – unser Herz soll uns am Herzen liegen“.

 

Textnachweis: FWF

Kontakt

Dr.in
Ariane Pessentheiner 
Institut für Molekularbiologie und Biochemie
Medizinische Universität Graz
T: +43 650 4858047