Zwei Herzen - Bild: Romolo Tavani/adobe.stock.com

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: "Wir brauchen neue Therapien"

Wie eine lange verzweigte Straße zieht es sich durch unseren Körper. Es pumpt Blut in jeden noch so abgelegenen Winkel. Kommt es zur Verstopfung, zu einem Stau, dann steht alles still.

Ein Team aus Ärzten und Grundlagenforscherinnen an der Medizinischen Universität Graz untersucht diese lange verzweigte Straße namens Herz-Kreislauf-System und will sie verstehen. "Das System ist unsere Lebensader. Es versorgt Organe und Körperzellen über die Gefäße mit Sauerstoff und Nährstoffen", erklärt Peter Rainer. Er ist Kardiologe und der Sprecher des gerade erst gebildeten Teams, das sich VascHealth nennt – "vasc" ist kurz für das englische Wort "vascular" und heißt so viel wie Gefäß.


Jeder Zweite ist einmal von Störungen des Herz-Kreislauf-Systems betroffen

Erkrankt das Herz-Kreislauf-System, dann kann das zu Bluthochdruck oder Nierenversagen, aber auch zum Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. "Jeder Zweite von uns hat irgendwann einmal in seinem Leben so ein Herz-Kreislauf-Event", sagt Rainer. Die Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Österreich und weltweit. Und sie verhindern, dass wir Menschen gesund alt werden können.

Alles Gründe für die Forscherinnen und Forscher der Med Uni Graz, sich damit zu befassen: "Das Thema ist relevant, das Problem ist ein großes", sagt Rainer. In den vergangenen 50 Jahren habe es zwar große Fortschritte gegeben: Herztransplantationen oder neue Medikamente zum Beispiel. "Aber wir haben jetzt einen Plafond erreicht, eine gläserne Decke, die wir nicht durchbrechen können", schildert Rainer. Die "klassischen, konventionellen Therapien", etwa das Senken von Blutwerten oder das Öffnen von verschlossenen Gefäßen, hätten in "ihrem Nutzen den Zenit erreicht, wir brauchen etwas Neues".


Kardiologie trifft auf Biologie im Forschungsflagship der Med Uni Graz

Also ist es das Ziel von VascHealth, neue Ansätze, die im Labor vielversprechend aussehen, es aber noch nicht in die Anwendung geschafft haben, unter die Lupe zu nehmen. Ein Vorhaben, mit dem das Team im Sommer eine internationale Jury aus Expertinnen und Experten überzeugen und sich gegen elf andere Konsortien durchsetzen konnte. Jetzt wird VascHealth als sogenanntes "Flagship" für fünf Jahre mit 775.000 Euro und einer Forschungsprofessur von der Med Uni Graz gefördert.

Das Team ist "bunt gemischt", arbeitet teils in der Klinik mit Patienten, teils im Labor oder beides. Neben dem Kardiologen Peter Rainer forschen die Nephrologin Kathrin Eller, der Hämatologe Andreas Reinisch, die Biochemikerin Dagmar Kratky, Biologe Simon Sedej und weitere Nachwuchswissenschaftler zusammen.


Warum bekommen Menschen zwei Herzinfarkte hintereinander?

Parallel arbeiten sie an mehreren Projekten. Zum Beispiel untersuchen sie die Kommunikation der Zellen im Herz-Kreislauf-System. Funktioniert sie nicht, kommt es zu Erkrankungen. Außerdem wollen die Forscher verstehen, warum viele Menschen, die einen Herzinfarkt erleiden, oft ein halbes Jahr später einen zweiten bekommen. "Das ist wahrscheinlich deshalb, weil durch den ersten Infarkt eine große Entzündungsreaktion ausgelöst wird", erklärt Rainer. "Wenn wir ganz früh nach dem Infarkt hier entzündungshemmend eingreifen, dann können wir vielleicht ein zweites Ereignis verhindern."

Um die neuen Ansätze näher an den Menschen zu bringen, nutzt das Team die Biobank und den Zugang zu Proben von Patienten der Uniklinik: "Wir sammeln Gefäß-, Blut- und Herzgewebe und versuchen die Mechanismen, die wir vorher im Labor untersuchen, zu bestätigen und Hinweise zu bekommen für eine Verwertung." Schließlich sollen am Ende neue Therapien und Behandlungsformen entstehen.

Text: Anna Stockhammer, KLEINE ZEITUNG vom 20.10.2022