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Andrea Grisold im Gespräch: Immer mehr Masernfälle

219 Masernfälle gibt es heuer bereits in Österreich – damit sind es schon jetzt weit mehr als im ganzen vergangenen Jahr, als es 186 Masernfälle gab.

„Ja, so wie sich der derzeitige Ausbruch darstellt, wird das ein massives Masernjahr“, sagt Andrea Grisold, Infektionsspezialistin an der Med Uni Graz und Vorsitzende des österreichischen Masernkomitees. Die Expertin rechnet damit, dass sich der Masernausbruch noch über Wochen ziehen wird und es heuer mehr als 400 Fälle geben wird. „Österreich ist europaweit Spitzenreiter bei den Masernfällen pro Einwohner – wir gelten als Masern-Hotspot“, sagt Grisold. Die Auswirkungen der Semesterferien würden sich erst in den kommenden Tagen zeigen: „In den Ferien gab es eine Durchmischung, sowohl zwischen den Bundesländern als auch aus dem Ausland. Wir rechnen mit einem Anstieg bedingt durch die Ferien“, erklärt Grisold.


Besonders tragisch

Unter den Erkrankten sind auch mehrere Säuglinge, einer davon ist erst drei Monate alt. „So kleine Babys können noch nicht durch eine Impfung geschützt werden“, sagt Grisold – es sind also die Allerschwächsten, die auf den sogenannten Herdenschutz durch eine erfüllte Durchimpfungsrate angewiesen wären. 42 Masern-Patienten mussten heuer bereits im Krankenhaus behandelt werden, davon drei auf der Intensivstation.

Die Ursache für den heurigen Masernausbruch sind laut Grisold die vorhandenen Impflücken vor allem bei Kindern und jungen Erwachsenen, die sich durch die Coronapandemie noch einmal verschlimmert haben: In der Altersgruppe der Zwei- bis Fünfjährigen sind acht Prozent der Kinder komplett ungeimpft, sodass das Ziel einer Durchimpfungsrate von 95 Prozent nicht einmal bei der ersten Teilimpfung erreicht werden kann. Auch die zweite Teilimpfung haben nur rund 87 Prozent der Kinder erhalten. Konkret heißt das, dass bei fast 19.000 Kindern in dieser Altersgruppe zumindest die zweite Teilimpfung fehlt und weitere 28.200 Kinder noch gar keine Impfung erhalten haben, wie der Masernbericht des Gesundheitsministeriums zeigt. Bei den 18- bis 30-Jährigen hatten nur etwas mehr als 86 Prozent einen kompletten Impfschutz.


Frage nach der Herkunft der Infektion

Für die Verantwortlichen in den Gesundheitsämtern bedeutet ein solcher Ausbruch eine mühsame Detektivarbeit: Taucht ein Masernfall auf, müssen alle Kontakte ausfindig gemacht werden – und zwar im Zeitraum von vier Tagen vor Auftreten des typischen Hautausschlags bis vier Tage danach. „Wir haben pro Fall Listen von bis zu 150 Personen, die wir alle kontaktieren und auf Immunschutz überprüfen müssen“, erklärt Eva Winter, Leiterin des Grazer Gesundheitsamts. Kontaktpersonen müssen nachweisen, dass sie zweimal gegen Masern geimpft sind – oder mittels einer Blutuntersuchung zeigen, dass sie krank waren und immun sind. Kann eine Kontaktperson keinen Immunschutz nachweisen, wird sie für bis zu 21 Tage „abgesondert“ und muss zu Hause bleiben – 21 Tage ist die maximale Inkubationszeit bei Masern. „Wir hatten in letzten Jahr den Fall, dass sich ein Mensch angesteckt hat, der zwei Stunden später im selben Raum war wie der Infizierte“, so Winter. Einen kleinen Erfolg kann sie vermelden: „Unsere Maßnahmen greifen langsam, unter den neuen Fällen befinden sich Menschen, die wir bereits abgesondert hatten und daher weitere Infektionen verhindert werden konnten.“

Textnachweis: Sonja Krause, Kleine Zeitung vom 07.03.2024